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Vulkan-Asche und Schwefeldampf

Der Cappuccino duftet verführerisch. Genau wie der Porridge mit Zimt und frischen Früchten. Dazu wärmt mir die Sonne freundlich den Rücken. Luis, Lina und ich versichern uns gleich mehrmals, wie froh wir sind, dass die fünf-stündige Kajaktour heute ausfällt. Zu viel Wind.

Während wir Drei den Morgen im Cafe vertrödeln reiten Catherine und Romain auf einem Raft einen tosenden Fluss hinunter und Andreas und Cath touren auf Mountainbikes irgendwo durchs Gelände. Mittags treffen wir uns am örtlichen Supermarkt, um frische Lebensmittel in den Trailer zu packen.

Andreas und ich kaufen Pflaster und Rotwein. Die Kassiererin versteht die Welt nicht mehr. Denn Andreas lehnt einen Benzin-Rabattgutschein mit dem Hinweis ab, er habe gar kein Auto. Die Neuseeländerin ist fassungslos: KEIN Auto?! Andreas erklärt, dass wir als Touristen überwiegend zu Fuß unterwegs seien. Die Frau schaut uns ungläubig an, die Einheimischen in der Schlange hinter uns schütteln die Köpfe. Einer murmelt:“Why on earth would you walk?“

Wir lernen dauernd dazu. Cath beispielsweise hatte bei der morgendlichen Mountainbike-Tour ein so mörderisches Tempo vorgelegt das Andreas schließlich lieber solo weiter fuhr. Wir erfahren so, dass Cath nebenberuflich Mountainbike Rennen fährt und auch sonst noch allerlei kräftezehrende Sportarten auf Wettbewerbsniveau betreibt.

Zwei Stunden schaukelt uns der Minibus über die Landstraße und schliesslich erreichen wir das Camp. Die große Wiese mit einem ausladenden Baumriesen im Zentrum liegt direkt an einer Biegung des Waikato River – mit 450 km der längste Fluss Neuseelands.

Das Wasser ist einladend dunkelblau. Wir bauen die Zelte auf, baden im Fluss und lümmeln im Schatten.

Am späten Nachmittag sammeln sich die Mücken schon kreisend über dem Fluss zum abendlichen Angriff, als wir die Ausrüstung für die nächsten drei Tage packen. Cath wird nicht müde uns zu predigen, dass auf dem Plateau des Tongariro Nationalparks ständig ein eisiger Wing pfeift. Luis, Andreas und ich packen T-Shirts aus Merinowolle, Fleece Pullover, wollene Socken und Mützen in den Rucksack. Die allen Elementen trotzenden Anoraks und Hosen legen wir gleich zum Anziehen bereit. Und hey, wir sind als Europäer echten Winter gewöhnt so wild wird es schon nicht werden.

Um nichts dem Zufall zu überlassen, habe ich in Rotorua  noch Handschuhe gekauft. Der freundliche Seniorchef eines alteingesessenen Geschäftes für Abenteuer-Ausrüstung war ernsthaft besorgt über unser Vorhaben. Lina, Luis und ich hatten eine Weile im Laden gestöbert und uns schließlich trotz der 23 Grad Außen-Temperatur für  Handschuhe aus Merino- und Possum-Wolle entschieden. John wollte wissen, was wir denn so vorhätten. Verwirrt von all den fremdländisch klingenden Namen fielen weder Lina noch mir auf Anhieb die Namen Tongariro Nationalpark und Mount Ngauruhoe (sprich: Narrahari) und Ruapehu ein. Als uns nach einigem hin und her und viel Gelächter dann der Name Tongariro doch noch über die Lippen kam, war der Outdoor-Experte entsetzt. Wir wollten da doch wohl nicht alleine hin und dann noch mit dem Kind! Er hielt uns für ein paar ziemlich bekloppte Stadt-Idioten. Erst der Hinweis auf einen neuseeländischen Bergführer und meinen mitreisenden Ehe-Mann beruhigten ihn. Immerhin haben wir so erfahren, dass gerade frischer Schnee auf den Gipfeln lag.

Nach einem opulenten französischen Käse-Omelett – von Romain mit kundiger Hand zubereitet – serviert Cath am Abend vor dem ganz großen Abenteuer eine Pavlova (das neuseeländische Nationaldessert das irgendwie auch die Australier für sich beanspruchen). Anschließend genießen wir noch ein, zwei Glaeser Rotwein am Feuer. Und Luis brät frisch gegrillte Marshmallows zum Nachtisch. Dann kriechen wir in die Zelte.

Frühstück um Sechs

Die Aussiecht, für weitere 2 Tage nicht in die Nähe einer Dusche zu kommen überzeugt mich von der Sinnhaftigkeit eines früh-morgendlichen Bades im Fluss. Erstaunlich an was man sich so gewöhnt. Normalerweise liebe ich heiße Duschen mit einer Wassertemperatur kurz vor dem Siedepunkt. Ziemlich ohne mit der Wimper zu zucken tauche ich heute im eis-kalten Waikato River unter.

Ich fühle mich als Heldin. So wach war ich noch nie vor dem ersten Kaffee! Da schmeckt der Frische Pfannkuchen zum Frühstück doppelt gut.

Am späten Vormittag erreichen wir die „Craters oft he Moon“ – eine sogenanntes Geo-Thermal Gebiet. Eindrucksvoll steigt Schwefeldampf aus Spalten, die anmuten wie kleine Höllen -Schlunde. Man erwartet jeden Moment den Ausbruch eines kochenden Geysirs. Wir sind beeindruckt. Ganz Neuseeland könnte quasi jeden Moment in die Luft fliegen. Die nächsten 50 Jahre wird nicht ernsthaft damit gerechnet.

Nach einem improvisierten Lunch am Strand bei Regen erreichen den Tongariro Nationalpark und wandern in zügigem Tempo durch eine sogenannte Alpine Trockengras Landschaft. So muss es in Südamerika aussehen. Der Himmel scheint unendlich weit. Die Wegstrecke ist eben. Und der knapp zweistündige Fußmarsch fühlt sich trotz des schweren Rucksacks beinah wie ein Spaziergang an.

Weil das Wetter kalt und regnerisch vorhergesagt ist, haben wir Schlaf-Plätze in der Waihohonu Hütte gebucht. Gerade als der leichte Nieselregen zu einem beeindruckenden Guss entwickelt, erreichen wir die Hütte. Im Kaminofen prasselt ein einladendes Feuer. Das Matratzenlager ist großzügig und luftig gebaut. Allerdings führt der Weg zum Häusl auch hier draußen um die Hütte herum durch die kalte Abendluft.

In der Hütte haben sich schon ein neuseeländisches Ehepaar und eine 5 köpfige Gruppe deutscher Studenten häuslich eingerichtet. Während die anderen ihre gefriergetrockneten Mahlzeiten aus der Tüte mit heißem Wasser zubereiten, schnippeln wir erst mal Tomaten, Knoblauch und Chili und Oliven für Spaghetti alla Putanesca. Dazu für jeden einen Becher Rotwein. Zum Nachtisch Schokolade mit Nüssen. Und dann reißen die Wolken auf und geben den Blick frei auf die schneebedeckten Vulkane Ngauruhoe und Ruapehu.

Der Ngauruhoe sieht aus wie Archetyp eines Vulkans – und wohl deshalb einem breiten Kinopublikum bekannt. In Peter Jacksons „Herr der Ringe “ ist der Ngauruhoe als Double fuer den Schicksalsberg zu sehen.

Der Tongariro war der erste National Park Neuseelands und gehört zum Weltnaturerbe der UNESCO. Ein weitsichtiger Maori-Haeuptling  mit Namen Te Heuheu Tukino IV (Horonuku) schenkte 1887 den heiligen Berg der Maori der Nation.

Ko Tongariro te maunga Tongariro is the mountain
Ko Taupo te moana Taupo is the lake
Ko Ngati Tuwharetoa te tangata Ngati Tuwharetoa are the people
Ko Te Heuheu te tangata Te Heuheu is the man

Die Legende sagt, Ngatoroirangi (the navigator and tohunga of the waka Arawa) war dem Tode nahe nachdem er das Gebiet erkundet hatte. Er rief nach seinen Schwestern in seiner pazifischen Heimat, damit sie ihm Feuer schickten – der Legende nach ist Hawaiiki das mythische Land inmitten des Pazifiks aus dem die Maori einst aufgebrochen waren, um neues Land zu finden. Die Schwestern taten wie ihnen geheißen, aber das Feuer hinterließ Vulkan-Spuren überall im Land.

Die drei Vulkane Tongariro, Ngauruhoe und Ruapehu sind immer noch aktiv. Ruapehu and Ngauruhoe sind zwei der aktivsten Vulkane auf unserem Planeten. Der Ruapehu ist zuletzt 1995 und 1996 ausgebrochen – begleitet von riesigen Asche- und Dampfwolken.

Die Nacht zu Füssen der Vulkane verlaeuft dennoch ausgesprochen ruhig, vom gleichmäßigen Schnarchen der Reisebegleiter einmal abgesehen.

Zum Frühstück fallen die ersten Sonnenstrahlen durchs Fenster. Kaum eine Wolke am Himmel. Ein Tag wie gemacht für den Aufstieg zur nächsten Hütte am Fuße des sagenumwobenen Tongariro Plateaus. Der Weg führt zunächst in leichtem Zickzack bis zu den ersten Auslaufern der Lava-Ströme. Die Landschaft wird zunehmend rauer und karstiger. Und schließlich felsiger. Hier oben kann man das Wasser der Bäche nicht mehr trinken. Zu viele Wanderer halten sich hier nicht immer an alle Hygieneregeln. Das Wasser ist mit Bakterien verseucht und kann wochenlange schwere Durchfälle verursachen. So schleppt jeder von uns neben Ausrüstung und Verpflegung noch 2 Liter Wasser bergauf.

Wir wandern über die alpine Wüste, durch Latschenfelder und schließlich über einen steilen Felspfad zu unserer nächsten Berghütte. Belohnt werden wir während der vierstündigen Tour mit fesselnden Ausblicken auf  Ngauruhoe und Ruapehu (mit 2797m der höchste Berg auf der Nordinsel).

Während ein paar Unentwegte nach dem Lunch zu einer Erkundung aufbrechen, halten Lina und ich Siesta, bis im Laufe des Nachmittags immer mehr Bergsteiger die Hütte ansteuern. Die Hütte ist einer der Ausgangspunkte für die Tongariro Überquerung – eine der schönsten Tagestouren Neuseelands. Das hat seinen Preis. Jedes Jahr machen sich circa 25.000 Bergsteiger  auf den Weg. Zu  Spitzenzeiten tummeln sich 700 Menschen pro Tag auf der Querung!  Zum Glück kommen die heute nicht alle hier vorbei. Die meisten Tages-Bergsteiger starten auf der gegenüberliegenden Seite.

Wir treffen eine Familie aus Perth und Luis zockt mit den beiden anderen Kids den Rest des Nachmittages. Uno ist das Kartenspiel der Wahl – eine weiteres internationales Phänomen. Während sich die Hütte langsam füllt, nehme ich mir Zeit für unser Risotto mit Pilzen. Und während andere Fertignudeln auf fast schon mikroskopisch kleinen Kochern zubereiten, schäle ich ein wenig Knoblauch, Lina schneidet die Champions in feine Scheiben, während der Reis im Olivenöl glasig brät. Den Sonnenuntergang genießen wir alle an der frischen Luft, bevor wir uns in der überheizten Hütte aufs Matratzenlager legen.

Die große Querung

Wie so oft auf dieser Reise wache ich um Punkt 4.00 Uhr auf. Meine Matratze liegt direkt am Fenster und ich kann eine gute halbe Stunde später das erste Sonnenlicht auf den Felsen sehen. Wir frühstücken schnell Müsli mit frisch angerührter Milch und packen die Rucksäcke. Vor uns liegen mindestens sechs Stunden. Der anstrengendste Teil der Ganzen Trekking Tour.

Über die vulkanische Mondlandschaft steigen wir durch erkaltete Lavaströme und Aschefelder. Dann nehmen wir den letzten steilen Anstieg. Hier oben dampft der Schwefel aus den Felspalten und das Smaragd-grüne Wasser ist geradezu gespenstisch schön. Gefärbt von Algen, die in der Schwefel-Säure leben.

Jetzt wird es ernst. Vor uns liegt ein steiler Grad, der weiter oben direkt in den Vulkan abfällt. Wegen des starken böigen Windes empfiehlt Cath, dass wir immer zu zweit untergehakt bergauf stapfen. Ich bin mit meinen Stöcken bestens gewappnet. Luis läuft im Windschatten von Andreas.

Wir sind inzwischen vermummt wie die für eine Everest Expedition. Der Wind ist atemberaubend. Der Anstieg unendlich mühsam. Im Bims-Stein-Geröll läuft es sich wie in pulvrigem Schnee. Zwei Schritte nach vorn. Ein Schritt nach unten gerutscht. Bloß nicht nach unten schauen, denke ich. Ein Atemzug, ein Schritt. Uns kommt eine Ehepaar in dünnen Leinenturnschuhen entgegen. Was sich die Leute wohl so denken vor so einer Tour? Die Frau rutscht auf dem Hinterteil bergab.

Und dann stehen wir an der höchsten Stelle des Grads und schauen direkt in den Krater. Wir sind nichts als kleine Ameisen auf diesem riesigen Kraterrand des sogenannten Rear-Crater. Der Wind verhindert, dass wir hier Pause machen und so werden nur rasch ein paar Rationen Zucker in Form von Bonbons verteilt. Wir werden am Fuße des Ngauruhoe Brotzeit machen und dort entscheiden, wer den Gipfel besteigen will.

In Serpentinen geht es über das Geröll hinunter auf eine riesige Hochebene, aus der der Ngauruhoe steil schwarz und unnahbar aufragt. In langen Kolonnen kommen uns jetzt Touristenströme entgegen. Kein wunder, dass hier jedes Jahr Menschen umkommen, so wie hier manche Ausgerüstet sind. Ich sehe einen älteren Herrn in Croqs durchs Geröll schlittern. Manche japsen und stöhnen, dass man ihnen die Sauerstofflasche reichen möchte.  Sobald der Wind nachlässt, brennt die Sonne erbarmungslos.

Der Blick auf die unwirkliche Szenerie entschädigt für das schmerzhafte Ziehen im Knie. Nach etwa zwei Stunden haben wir die Felsen am Fuße des heiligen Berges erreicht. Die karstigen Brocken hat der Vulkan beim letzten Ausbruch irgendwann ausgespuckt. Luis hat sich umfassend informiert und erklärt mir, dass der Vulkan einen Ausbruch immer mit kleinen Erdbeben ankündigt. Dann hätten wir immer noch gut 4-5 Stunden, um aus der Gefahrenzone zu laufen. Derart beruhigt basteln wir uns erst mal ein Sandwich. Unser Blick gleitet den Berg hinauf. Etwa 2 Stunden muss man durch Vulkanschutt den Berg hinauf klettern. Mit Handschuhen – die Steine haben scharfe Kanten und verursachen Schnitte an den Händen, wenn man sich abstützt. Das gefährlichste ist allerdings herabstürzendes Geröll das von Bergsteigern weiter oben losgetreten wird. Lina kann mit ihrer kaputten Achilles Sehne keinesfalls da rauf, mein Knie quietscht förmlich bei der Vorstellung, den Berg im Dauerlauf runter rutschen zu müssen und für Luis ist die Tour ohne Helm einfach zu gefährlich. Wir werden allerdings nicht hier auf die Helden warten sondern bis zur letzten Hütte eine halbe Stunde vor dem Parkplatz absteigen. Das Gipfelteam lässt den größten Teil der Ausrüstung zwischen den Felsen zurück, wir vereinbaren Handy-Signale für den Notfall und berechnen, wann die Seilschaft im Tal sein müsste. Wir teilen Wasser, Erste Hilfe Pakete und Muesli-Riegel auf und verabschieden uns.

Zweieinhalb Stunden wandern wir den Weg in immer neuen Serpentinen bergab. Immer längere Touristenkolonnen kommen uns entgegen. Die müssen alle über den Grat, werden allerdings auf der gegenüberliegenden Seite von einem Parkplatz aus wieder eingesammelt und in die Zivilisation zurück transportiert. Zwischendurch sucht unser Blick immer wieder die Wände des Vulkans ab. Wo das Gipfelteam jetzt wohl ist. Doch der Tag ist wie gemacht für den Ngauruhoe – wolkenloser Himmel. An 90 von 100 Tagen ist das Wetter zu schlecht für eine Gipfeltour.

Als wir endlich die Hütte erreichen, fallen wir alle drei total erschöpft auf die davor liegende Wiese. Ein aufmerksamer Bergsteiger bringt uns aus der Hütte heißen Tee zur Stärkung. Wir schaffen es gerade noch unsere Isomatten auszurollen, bevor uns der Schlaf übermannt. Als ich unter meinem Hut wach werde muss ich erst mal meine Zehen bewegen. Ich muss völlig bewegungslos geschlafen haben. Luis und Lina sind immer noch wie narkotisiert.

Weitere Bergsteiger treffen nach und nach ein und pünktlich wie die Maurer tauchen auch unsere strahlenden Helden zum vereinbarten Zeitpunkt ein. Im Gepäck haben sie atemberaubende Bilder, an  den Waden beeindruckende Prellungen von herabrollendem Geröll und im Kopf den Film einer einmaligen Tour auf einen sagenhaften Berg.

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